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Die stille Pandemie

Bakterien schlummern oft unbemerkt im menschlichen Körper, ohne gesundheitliche Probleme zu verursachen – sie können aber auch schwere Infektionen hervorrufen. Weil herkömmliche Antibiotika immer öfter versagen, suchen Wissenschaftler:innen am Helmholtz-Institut Würzburg nach neuen Angriffspunkten bei diversen Keimen.

 

Sie nennen sich „Klebsiella“, „Escherichia coli“ und „Staphylokokken“, besiedeln Haut und Schleimhäute, den Darm oder zum Beispiel die Lunge, und sie haben eines gemeinsam: Es handelt sich um Bakterien, die oft unbemerkt im menschlichen Körper schlummern, ohne gesundheitliche Probleme zu verursachen – die aber auch schwere Infektionen hervorrufen können.

Letzteres kann insbesondere dann eintreten, wenn die Bakterien auf ein bereits geschwächtes Immunsystem treffen. Klebsiella & Co. verbreiten als sogenannte Krankenhauskeime Angst und Schrecken, denn bei immunsupprimierten Klinikpatienten haben sie vergleichsweise leichtes Spiel. Und es gibt ein zusätzliches Problem: Durch den zu häufigen und oftmals auch falschen Gebrauch herkömmlicher Antibiotika haben die Erreger mittlerweile vielfältige Abwehrstrategien entwickelt, sodass klassische Wirkstoffe immer öfter versagen.

Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) schätzt, dass jedes Jahr weltweit mehr als eine Mil­lion Menschen an den Folgen einer Infektion durch multiresistente Erreger sterben. Im Jahr 2050 könnten es demnach schon zehn Millio­nen Tote sein – wenn es nicht gelingt, neuartige antimikrobielle Arzneien zu entwickeln.

Ein vielversprechender Ansatz

Im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen, aber auch zur Entwicklung von zielgenau wirkenden Therapeutika sowie zur Eindämmung tumorfördernder Bakterien suchen Wissenschaftler:innen am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) und der Julius-Maximilians-Universität (JMU) in Würzburg nach Angriffspunkten bei diversen Keimen.

Ein vielversprechender neuer Ansatz sind programmierbare Antibiotika, sogenannte Antisense-Oligonukleotide (ASOs), die im Labor von HIRI-Direktor Jörg Vogel erforscht werden. ASOs machen es sich zunutze, dass Bakterien Boten-Ribonukleinsäuren (mRNA, von Engl. messenger ribonucleic acid) benötigen, um neue Proteine zu bilden und sich so zu vermehren. Als spiegelbildliche Struktur einer bakteriellen mRNA können sich eigens programmierte ASOs an die jeweilige mRNA binden und diese so gewissermaßen deaktivieren.

„Wir schleusen kurze Ketten von Basen in Bakterien ein, die so konstruiert sind, dass sie exakt zu bestimmten mRNAs passen“, erklärt Jörg Vogel das Prinzip. „Lagern sich die Abschnitte an die mRNA des jeweiligen Gens an, unterbinden sie dessen Proteinproduktion – im Idealfall stirbt das Bakterium anschließend ab.“

Eine Herausforderung dabei sei es jedoch, so der Professor, die relativ großen Antisense-RNA-Moleküle durch die komplexe Bakterienzellwand ins Cytoplasma zu bekommen. „In meinem Labor untersuchen wir, wie kurz wir die Basenketten gestalten können, ohne dass sie ihre Spezifität verlieren“, berichtet Jörg Vogel. Damit ist die Fähigkeit gemeint, wirklich nur das jeweils vorgesehene Gen zu blockieren.

Zudem werde die programmierte Antisense-RNA an einen Peptid- oder einen Kohlenhydrat-Liganden gebunden, damit Rezeptoren auf der Bakterienzellwand den Molekülkomplex erkennen und ins Zellinnere vordringen lassen, so Vogel.

Erste Medikamente, die nach diesem Prinzip funktionieren, sind bereits auf dem Markt – beispielsweise gegen die Folgen der spinalen Muskelatrophie oder gegen eine Hepatitis-C-Infektion. mRNA-Antibiotika gibt es bislang jedoch nur im Labor.

Dabei gäbe es vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, denn von Krankenhauskeimen über Fusobakterien, die mit Darm- und Brustkrebserkrankungen in Verbindung stehen, bis hin zu Schweiß zersetzenden Mikroben ließen sich diverse Mikroorganismen zielgenau angreifen oder sogar komplett eliminieren. Und das ganz ohne unerwünschte Dysbiose, also ohne zugleich die „guten“ Bakterien der Mikrobiota zu schädigen, wie es bei herkömmlichen Antibiotika der Fall ist.

Hemmschuh der bisherigen Forschung und Wirkstoffentwicklung sind jedoch die nur geringen Umsätze, die die Pharmaindustrie mit einem neu entwickelten Antibiotikum – bei zugleich hohen Kosten – generieren kann.

Hintergrund

Ein Beitrag anlässlich der „World Antimicrobial Resistance Awareness Week“ (WAAW; 18. - 24. November 2023): Mit der WAAW (Weltantibiotikawoche) macht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeinsam mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH) alljährlich im November auf die Bedeutung von antimikrobiellen Wirkstoffen und das Problem von Resistenzen aufmerksam. Das Motto dieses Jahr lautet „Preventing antimicrobial resistance together“ (Gemeinsam antimikrobielle Resistenzen verhindern).

Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung

Das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) ist die weltweit erste Einrichtung ihrer Art, die die Forschung an Ribonukleinsäuren (RNA) mit der Infektionsbiologie vereint. Auf Basis neuer Erkenntnisse aus seinem starken Grundlagenforschungsprogramm will das Institut innovative therapeutische Ansätze entwickeln, um menschliche Infektionen besser diagnostizieren und behandeln zu können.

Das HIRI ist ein Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und befindet sich auf dem Würzburger Medizin-Campus.