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Suche nach neuen antiviralen Therapien: Dem HIV-Lebenszyklus auf der Spur

Studie heute veröffentlicht in "Nature Structural & Molecular Biology"

 

Würzburg, 28. März 2022 – Das Coronavirus SARS-CoV-2 hat eine andere weltumspannende Seuche zuletzt medial in den Schatten gestellt: HIV/AIDS. Nach Angaben von UNAIDS, einer Initiative der Vereinten Nationen, sind zurzeit weltweit rund 38 Millionen Menschen mit HIV infiziert. Beinahe ebenso viele Betroffene sind seit Ausbruch der HIV-Pandemie in den 80er-Jahren an den Folgen einer AIDS-Erkrankung gestorben. Auf der Suche nach neuen Ansätzen für antivirale Therapien haben Wissenschaftler:innen des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg und des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin jetzt eine neue Technologie entwickelt, mit deren Hilfe Schlüsselstadien des HIV-Lebenszyklus analysiert und beeinflusst werden können. Ihre Erkenntnisse wurden heute im Fachmagazin Nature Structural & Molecular Biology veröffentlicht.

Schlüsselstadien im Lebenszyklus eines Virus können zentrale Angriffspunkte für Medikamente und Therapien darstellen. Ziel der Grundlagenforschung ist es daher, diese Prozesse auf molekularer Ebene zu verstehen und beeinflussen zu können. Ein besonderes Merkmal des HI-Virus ist es, dass es zwei Kopien seines Erbguts enthält. Während einer Infektion werden diese in einem Dimerisierung genannten Vorgang miteinander verbunden, um daraus ein neues Viruspartikel herzustellen. Außerdem wird die Dimerisierung damit in Verbindung gebracht, dass ein neu produziertes Viruspartikel in einer Proteinhülle verpackt wird. Erst dadurch entsteht ein vollständiges, infektiöses neues Teilchen, und das Virus hat sich erfolgreich vermehrt (repliziert).

Anordnung der RNA entscheidend

Im Fachmagazin Nature Structural & Molecular Biology beschreiben Forscher:innen des Würzburger Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) – einer Einrichtung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg – sowie des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin jetzt eine neuartige Technologie, mit deren Hilfe sie diese Prozesse genau untersuchen können. Genannt FARS-seq (von engl. Functional Analysis of RNA Structure), hilft ihre Methode, Regionen des HIV-1-Genoms zu identifizieren, die für die Dimerisierung und Produktion der Virenhülle wichtig sind.

„Die Idee, dass die Dimerisierung eine Voraussetzung für die Verpackung des Virus vom Typ HIV-1 ist, besteht schon seit langem in der Forschung. Die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen waren bislang jedoch unklar. Unsere Studie liefert diese Details in hoher Auflösung, sodass ein gezieltes Eingreifen möglich wird“, erläutert Juniorprofessor Redmond Smyth, Initiator der Studie und Forschungsgruppenleiter am HIRI.

Liqing Ye forscht am HIRI im Labor von Smyth und ist Erstautorin der aktuellen Studie. Sie ergänzt: „Wir konnten zeigen, dass das HIV-1-Erbgut zwei verschiedene RNA-Konformationen aufweist. Nur eine davon hat die Merkmale, die es braucht, um die Virushülle herzustellen. Bei der zweiten Anordnung verbleibt die RNA in der Wirtszelle und produziert dort neue virale Proteine. Diese beiden Konformationen wirken daher wie ein molekularer Schalter, der das Schicksal der viralen RNA und damit der Virusreplikation lenkt.“

Die Wissenschaftler:innen haben Sequenzen mit einer Auflösung von einem Nukleotid identifiziert, die das Gleichgewicht zwischen diesen beiden RNA-Konformationen regulieren. Ihre Studie verdeutlicht, wie die Bindung viraler Faktoren an diese Regionen genutzt werden kann, um den Zusammenbau des Virus gezielt zu steuern oder zu stören.

„Wir hoffen, diese neuen Erkenntnisse für RNA-basierte antiretrovirale Medikamente oder verbesserte Gentherapievektoren nutzen zu können“, sagt Redmond Smyth vom Würzburger Helmholtz-Institut. In Folgestudien wolle man jetzt untersuchen, ob die Beobachtungen auch bei anderen Stämmen des HI-Virus Bestand haben.

Über HIV

Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) zählt zur großen Familie der Retroviren. Diese sind behüllt, und ihre Erbinformation besteht aus Ribonukleinsäuren (RNA, von engl. ribonucleic acid). Charakteristisch für Retroviren wie HIV ist es, dass die viralen Partikel jeweils aus zwei Kopien des RNA-Genoms bestehen. Bislang sind zwei Virustypen bekannt, die den Menschen infizieren: HIV-1 und HIV-2. Vorliegende Studie befasst sich mit HIV-1 – der Variante, die mehr als 90 Prozent aller Infektionen ausmacht.

Originalpublikation

Short and long-range interactions in the HIV-1 5’UTR regulate genome dimerization and packaging. Ye L, Gribling-Burrer AS, Bohn P, Kibe A, Börtlein C, Ambi UB, Ahmad S, Olguín-Nava M, Smith M, Caliskan N, von Kleist M, Smyth RP (2022). Nature Structural & Molecular Biology. DOI: 10.1038/s41594-022-00746-2

Zur Studie

 

Britta Grigull

Pressekontakt

Dr. Britta Grigull